Der Film 'Die Grüne Wolke' ist eine Adaption des gleichnamigen Kinderbuchklassikers von A.S. Neill, dem Gründer der berühmten Summerhill-Schule. 1935 erzählte er diese bizarre Abenteuergeschichte seinen Schülern von Summerhill. Neills Roman schließt mit einem lesenswerten Nachwort des Autors zur deutschen Erstausgabe 1971, das die Besonderheit der Geschichte, ihrer Erzählweise und ihrer Erzählintention verdeutlicht:

Dies ist eine Geschichte, die ich im Jahre 1938 einer Gruppe von Neunjährigen erzählt habe. Die Geschichte ist also ein bisschen veraltet, aber manche besseren Geschichten sind das auch - Die Schatzinsel zum Beispiel oder Robinson Crusoe.

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ch habe versucht, mich dem Geschmack meiner Zuhörer anzupassen, und dabei festgestellt, dass ihnen der Sinn hauptsächlich nach Blutbädern und Donnergrollen stand. Folglich ist diese Geschichte ziemlich gewalttätig. Hier erhebt sich die alte Frage: Wird ein Kind, dem man Gewalt vorsetzt, nicht auch Gewalt suchen, wenn es heranwächst? In meiner Geschichte kommen vier Jungen und drei Mädchen vor. Sie alle sind heute - soweit sie noch leben - friedliche, ausgeglichene Kriegsgegner. Fiktionale Gewalt scheint keinen großen Eindruck zu hinterlassen. Kein Mensch lässt sich von einem klassischen Western schockieren, in dem die good guys die bad guys abknallen. Das liegt hauptsächlich daran, dass diese Cowboys keine Persönlichkeit besitzen; sie sind Puppen und meistens auch ganz schlechte Schützen. Man konnte argumentieren, dass Kinder, die mit neun ihre Aggressionen ausleben können, mit vierzig kaum aggressiv sein werden. Das jedenfalls ist meine Erfahrung.

Die meisten Kinderbücher sind so nervtötend, dass Eltern sich beim Vorlesen zu Tode langweilen. So ging es mir, als meine Tochter Zoe noch klein war und ich ihr langweilige, moralisierende Kinder Bücher vorlesen mußte. Dagegen hat meine Geschichte, glaube ich, den Vorteil, dass Vater oder Mutter sie wegen der vielen Späße die darin vorkommen, laut vorlesen können, ohne sich über Gebühr zu langweilen. Ich will nicht bestreiten, dass Neunjährige die eine oder andere witzige Bemerkung nicht mitbekommen. Zum Beispiel als wir in Chicago gegen die Gangster kämpfen, weigert Neill sich strikt, am Bandenkrieg teilzunehmen. Robert (neun) breitet einen Stadtplan aus. "Diese Brauerei", sagte er, - werden wir zu unserem Hauptquartier machen. Darauf erklärt Neill, er habe sich's anders überlegt und werde doch in diesen kleinen Krieg ziehen. Kindern entgeht diese Pointe, durstigen Vätern nicht.

Die Geschichte hat keine Moral. Sie will nicht erheben. Sie will spannend und komisch sein, und es ist sehr gut möglich, dass nur solche Leute sie komisch finden, die denselben Sinn für Komik haben wie ich. Jedenfalls ist es das einzige meiner Bücher, über das ich, wenn ich darin blättere, herzhaft kichern kann, wahrscheinlich weil mir das Erzählen soviel Spaß gemacht hat wie den Kindern das Zuhören. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich bei meinen pädagogischen Bücher immer bemühen mußte, ernst zu bleiben: Zu viele Leute werden durch Humor verschreckt. Von lustigen Menschen erwartet man nichts Wesentliches. Eines in der Grünen Wolke ist neu: Dass die Kinder nach jeder Fortsetzung laut ihre Kommentare von sich geben. Natürlich kann man als Vater die Geschichte vorlesen und die Kommentare der Zuhörer auslassen, aber dann bringt man sich um die Bemerkungen einiger prachtvoll aufgeweckter Kinder.

Ich will noch berichten, was aus den Kindern geworden ist. Der arme Gordon [Golo] ertrank vier Jahre nachdem diese Geschichte erzählt wurde. Bunny [Bernie] ist Geschichtsprofessor. David [Don] ist Mathematikprofessor. Michael [Mark] ist Physikdozent. Robert [Romy] hat ein Motel aufgemacht. Betty [Biene], Jean [Jasmin] und Evelyne [Evi] sind verheiratet und haben Kinder; Evelyne ist eine sehr moderne Malerin.

Ich mochte noch einmal darauf hinweisen, dass sie nicht im geringsten aggressiv sind und niemals Antisemiten, Rassisten oder Faschisten werden konnten. Ich glaube, dass keiner von ihnen jemals einem Führer folgen würde, sei er ein Hitler oder ein Billy Graham. Natürlich kann man aus dem Verhalten einer so kleinen Gruppe kein Dogma ableiten; sicher ist nur, dass ihnen die Gewalttätigkeiten dieser Geschichte nicht geschadet hat, vielleicht, weil sie mit Spaß und Humor gemischt war. Ich bin ziemlich sicher, dass sich diese Gruppe oder irgendeine andere Gruppe freier Kinder auf einer einsamen Insel nie gegenseitig umbringen würde, wie es Jungen von einer "disziplinierten" Schule in einer anderen Geschichte getan haben.

Kinder leben zum Teil in einer Phantasiewelt. Ihre Phantasie wird von den gerade herrschenden Verhältnissen geprägt. Zur Zeit von Sir Francis Drake wollten die Kinder in Devon bestimmt Geschichten über Dreimaster und Golddublonen hören. Im Jahre 1938 wurde die Phantasie der Kinder durch Stummfilme, amerikanische Gangsterromane und die sogenannten Schundhefte angeregt. Heutzutage wollen sie Weltraumgeschichten hören, vor allem Astronautenlatein, womit ich nicht dienen kann, da mir dazu die nötigen Grundkenntnisse fehlen.

Jedes Kind will Wunder und große Leistungen. Billie wird nichts dagegen haben, wenn ich ihn in einer Geschichte Cassius Clay k. o. schlagen lasse; er wird höchstens dagegen protestieren, dass ihm der k. o. erst in der zehnten Runde gelang und nicht in der ersten. So ist dies Buch voller Wunder.

Beim Erzählen habe ich die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes berücksichtigt. Robert, der weniger akademisch veranlagt war als Michael, Bunny oder David, machte ich zum obersten Wundermann, zum ausgesprochenen Tatmenschen. Die ängstliche Jean wurde zum blutdürstigen Rauhbein und so weiter. Wäre Gordon, der in sich gekehrte Denker, noch am Leben, er wäre bestimmt heute ein großer Professor.